Seit November bin ich nicht mehr angestellt sondern hauptberuflich selbständig. Nun sind neun Monate vergangen. Zeit für einen Blick zurück und viele kritische Fragen an mich selbst. Peer von Selbständig im Netz hat mit seiner Blogparade „Seid ihr glücklich als Selbständige?“ den Anstoß zum Artikel gegeben. Ich nehme den Ball gern auf. Schon vorab die kurze Antwort: Es ist verdammt schwer, anstrengend und emotional herausfordernd. Jeder Tag ist ein Kampf gegen mich selbst. Ich bin zwar glücklich, aber weder zufrieden und erst recht noch längst nicht dort, wo ich eigentlich hin möchte!

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Der Anfang

Wie so häufig begann der Start durch einen glücklichen Umstand. Meine feste Stelle machte weder für mich noch für meinen Chef Sinn und wir haben gemeinsam geschaut, welche Alternativen es gibt. Zugleich hatte ich schon länger mit einem weiteren Partner nebenher an einem eigenen Projekt gearbeitet, für das ich mehr Zeit gebrauchen könnte.

So kam es, dass ich mit der Unterstützung meines Chefs und zwei weiteren Projekten im Rücken den Weg in die Selbständigkeit begonnen habe.

Mit Selbständigkeit verbinden viele etwas anderes. Am häufigsten gelten Werte wie Freiheit und Verantwortung für das eigene Handeln. Wer selbständig ist, entscheidet, was er tut, warum er es tut und wann. Er profitiert von seiner eigenen Leistung. Das reizt mich auch. Allerdings ist man als Selbständiger auch direkt für das eigene Scheitern verantwortlich.

Warum selbständig?

Warum reizt mich die Selbständigkeit? Die genannten Werte treffen auf mich ebenfalls zu. Ich stehe auch gern zu meinen Fehlern. Ich habe keine Angst welche zu machen. Allerdings möchte ich eigentlich nicht „selbständig“ sein. Selbst und ständig, wie man so schön sagt.

Eigentlich ist mein Ziel der Unternehmer. Ich liebe Systeme. Sie faszinieren mich. Vielleicht kommt das daher, dass ich seit ich 14 bin programmiere. In meiner letzten Position habe ich Modelle gebaut, mit denen die Finanzströme von Unternehmen modelliert werden, um Businesspläne zu erstellen. Aber auch Systeme, mit denen Daten automatisiert verarbeitet wurden um sie für Controlling und Geschäftsführung vorzubereiten. Hinzu kommen Handelssysteme, mit denen ich im Private Hedge Fund nachhaltig Erträge an der Börse realisieren möchte.

Als Unternehmer baut man ein eigenes System in Form eines Geschäftsmodells. Es ist eines der komplexesten Systeme, das ich mir vorstellen kann. So etwas zu erschaffen, das letztendlich allein „funktioniert“. Das ist meine Motivation.

Meine Vorstellung von der Selbständigkeit

Als ich begonnen habe, habe ich zunächst einen Businessplan erstellt. Er vermittelte mir eine Vorstellung davon, was ich alles benötige und welche Zeit mir bleibt, ein stabiles Fundament zu erstellen. Mir war sofort klar, dass ich in kürzester Zeit kein Unternehmen aufbauen kann, dass stabil und allein arbeitet. Aber ich kann das Fundament schaffen. Ein Netzwerk aufbauen, das mich trägt, Vertrieb aufbauen und erste kleine Aufträge für den dringend notwendigen Umsatz. Das sollte doch in ein paar Monaten umsetzbar sein?

Für sechs Monate erhalte ich einen Gründerzuschuss vom Arbeitsamt. Das verschafft mir etwas Zeit, aber ich wusste von Anfang an, dass diese Zeit kaum reichen wird. Doch wie schwer es wirklich ist, habe ich nicht gewusst.

Realität: Der lange Weg vom Spezialist zum Vertriebsprofi

Die Realität zeigt, dass sich ein Netzwerk nicht schnell aufbauen lässt, wenn man es benötigt. Wie bei einem Baum, müssen sich erst einmal die Wurzeln ausbilden und tief im Boden verankern, bevor der Stamm in die Höhe wächst und sein weites Geäst entwickeln kann.

Auch stellt sich der Vertrieb als wahre Herausforderung dar. Ich komme aus der Fachabteilung, bin ein Spezialist und weiß, was ich kann. Aber wenn du nie in der Situation warst, deine Fähigkeiten gegenüber anderen angemessen zu „verkaufen“, ist das eine verdammt große Hürde. Im Unternehmen gab es dafür ja die Vertriebsabteilung oder den Chef.

Was hat sich verändert?

Die größte Veränderung ist die Verantwortung für mich selbst. Wenn ich jeden Tag aufstehe und mich frage, ob das, was ich tue, mich tatsächlich einen Schritt weiter bringt? Bringt meine aktuelle Aufgabe meinem Ziel näher oder nicht? Arbeite ich an dem Thema, was wirklich wichtig ist? Spreche ich mit den richtigen Leuten?

Die immer wieder gleichen Fragen sind ein schmaler Grat zwischen Kritik und Zweifeln. Zweifel an mir selbst, ob ich das wirklich alles schaffen kann.

Als Angestellter ist mir das egal. Der Chef weiß schon, was er will. Wenn er einen Fehler macht, ist es meistens nicht zum Nachteil der Angestellten. Dann war die Arbeit zwar umsonst gewesen — was ohne Frage auch kein schönes Gefühl ist, aber letztendlich wird man nach Zeit bezahlt.

So ändert sich der ganze Tagesablauf: Niemand, der dir Aufgaben oder Projekte vorgibt. Der dir sagt, was gerade wichtig ist. Natürlich konnte ich auch als Angestellter viel selbst entscheiden, aber die Tragweite dieser Entscheidungen war bei Weitem nicht vergleichbar.

Dennoch, die positiven Veränderungen möchte ich an dieser Stelle nicht verschweigen. Termine und viele spannende Veranstaltungen, bei denen sich andere Unternehmer treffen und austauschen gehören stärker zu meinem Geschäftsalltag als zuvor. Ich habe so interessante Menschen kennengelernt und viel neues dazu gelernt. Auch die freie Zeiteinteilung hat viele positive Seiten. So arbeitet meine Frau häufig am Wochenende und ich kann mir nun während der Woche die Stunden nehmen, die wir sonst am Wochenende nicht hatten. Gleichzeitig steigt damit auch der Druck, sich seine Zeit angemessen einzuteilen.

Wie geht es weiter? Der Weg ist das Ziel

Als angestellter Spezialist wurde meine Leistung nach Ergebnissen beurteilt. Ich wurde vor ein Problem gestellt und hatte die Aufgabe es zu lösen.

Als Selbständiger ist die Erfolgsmessung deutlich komplexer. Würde ich meinen Erfolg nur am Ergebnis messen, würde ich wohl verzweifeln. Allein diese Erkenntnis hat mich viel Zeit gekostet. Dafür danke ich vor allem Alex Düsseldorf Fischer, der diesen Punkt schön aufgezeigt hat. Als Selbständiger muss ich meinen Erfolg nicht am Ziel sondern an kleineren Etappen messen. Jeden Tag einen kleinen Schritt weiter als am Tag zuvor. Jeder Schritt nach vorn ist ein Erfolg.

Mit dieser Erkenntnis kann ich sagen, dass ich tatsächlich glücklich bin. Glücklich im Blick auf meine gewonnene Freiheit. Ich habe die volle Gewalt über meine Zeit. Ich setze meine eigenen Prioritäten. Doch von Glück allein kann niemand leben. Dafür bedarf es auch Aufträgen und Umsatz. Wer als Selbständiger nur von Freiheiten spricht, ignoriert den wirtschaftlichen Druck. Damit muss man umgehen lernen. Mit der Ungewissheit, wann das nächste Geld kommt. Das ist der Preis für die Freiheit und das Glück.

6 KOMMENTARE

  1. Hallo Rico,
    ich drücke dir die Daumen, dass du deine Ziele erreichen wirst. Mit der Zeit wirst du ein Gefühl bekommen was gut läuft und was weniger gut. Hiernach solltest du dich immer wieder optimieren.
    Du hast leider nicht verraten um welche Art der Unternehmung es sich handelt. Wäre es nicht ein weiterer Schritt JA zu sagen und es auch zu zeigen, dass man selbstständig ist – mit Leib und Seele?
    Toi toi toi.
    Gruß
    Alex

  2. Hallo Rico,

    interessante Projekte hast du das am Laufen. Ich wünsche dir ebenfalls viel Glück.

    Übrigens scheinen die Links auf die Abgeschlossenen Projekte bei „http://datenwald.com/“ nicht zu funktionieren (G. Chrome).

    Gruß!

    Torsten

  3. Hallo Rico!
    Dein Mut verdient gehörigen Respekt. Ein Projekt angehen und es lösen ist für sich genommen schon eine enorme Herausforderung, die Kreativität, selbständiges Arbeiten, entwickeln von Problemlösungen erfordert. All das ist als Selbständiger auch nötig, aber nur ein Teil der Arbeit. d.h. du musst all das, was du nun zusätzlich tun musst, mit einem Mehraufwand an Zeit erledigen. Wahrscheinlich arbeitest du nicht mehr acht, sondern 12 Stunden, +++ wenn etwas fertig werden muss.
    Du schreibst: „Doch wie schwer es wirklich ist, habe ich nicht gewusst.“ – Klar, denn das trifft wahrscheinlich immer zu. Ich denke, wenn man das vorher wüsste, würde man es gar nicht beginnen.
    Bei dir und deinem Vorhaben kommt nun noch dazu, dass du dazu verdammt bist, erfolgreich zu sein. Schließlich musst du ja davon leben können; Geld muss rein kommen.
    Ich wünsche dir jedenfalls viel Erfolg. Mehr kann ich leider nicht tun.

    • Danke für deine aufbauenden Worte. 😉 Ganz so schlimm sehe ich es aber nicht. Ich wusste ja vorher durchaus, dass es schwer wird, aber man stellt sich eben immer alles einfacher vor (selbst wenn man es schon als schwer erwartet). Ansonsten bin ich keineswegs zum Erfolg verdammt. Ich sehe es auch ein bisschen so: Ich gehe meinem Glück einen Schritt entgegen. Ob es klappt, weiß ich nicht, aber als Angestellter laufe ich vor den Chancen eher davon. Und ich möchte mir später nicht sagen, ich hab es nicht wenigstens mit aller Kraft und aller Mühe probiert.

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